Woko vom 6.9.2015: Die wahren Zustände am Westbahnhof und wie es weiter gehen soll Drucken E-Mail

 

Während der ORF am Samstag um 17 Uhr von der Hilfsbereitschaft österreichischer staatlicher Institutionen bei der Versorgung von Flüchtlingen am Westbahnhof schwärmte und gleichzeitig betonte, dass dies in Budapest nicht der Fall sei, sah die Wirklichkeit am Westbahnhof am Samstag nachmittag völlig anders aus.

Ja, die Flüchtlinge wurden relativ gut mit Getränken und Essen sowie Kleidung versorgt, aber nicht von staatlichen Institutionen (Ich habe während meines zweistündigen Aufenthaltes vor Ort keine einzige gesehen mit Ausnahme des Polizeiaufgebots), sondern von Organisationen wie der Caritas und zahlreichen Privatleuten.

Die Innenministerin hat es verabsäumt für die wichtigsten Bedürfnisse der Flüchtlinge Sorge zu tragen. Weder gab es irgendwelche Sitzgelegenheiten noch eine organisierte Verpflegungsausgabe, weder gab es eine Ausgabe von Wolldecken und warmer Kleidung (Zahlreiche Flüchtlinge, besonders kleine Kinder, waren nur sehr spärlich bekleidet und froren bei Temperaturen um 15 Grad) noch wärmende Getränke. Von staatlicher Organisation kann also überhaupt keine Rede sein. Wohl aber ließ es sich die Frau Minister nicht nehmen, selbst ein zehnminütiges Medienbad am Westbahnhof zu nehmen, um dann wieder zu verschwinden.

 

Es ist tatsächlich großartig, wie sehr sich Privatpersonen und Organisationen aus der Zivilgesellschaft für die Flüchtlinge engagieren, um diesen ihren Zwischenaufenthalt in Wien nach den langen Strapazen möglichst angenehm zu gestalten und sie mit dem Nötigsten zu versorgen, aber es ist ekelerregend und beschämend zu sehen, wie sehr sich die verantwortliche Politik dabei zurückhält. Für flüchtende Menschen zu sorgen, Frau Innenminister, ist nicht Aufgabe von Privatpersonen (so sehr diese zu schätzen ist), sondern eine staatliche Verpflichtung! Aber auch hier haben die verantwortlichen Politiker wie in den vergangenen Wochen offensichtlich wieder einmal kläglich versagt.

 

Ich kann mich des Eindrucks nicht mehr erwehren, dass dieses Versagen nicht auf Unfähigkeit beruht, sondern aus verschiedenen Gründen politischer Wille ist.

 

Wie soll es weiter gehen?

 

Wer gestern oder heute am Westbahnhof war, weiß, dass in der derzeitigen Flüchtlingssituation Mitgefühl und Hilfe für die Menschen angebracht ist. So gesehen begrüßt die Steuerinitiative die Politik der deutschen Kanzlerin Merkel, syrische Kriegsflüchtlinge vorübergehend möglichst unbürokratisch einreisen zu lassen und ihnen Asyl zu gewähren. Merkel hat aber ebenso deutlich gesagt, dass es kein Asyl für Einreisende geben wird, deren Leben nicht durch Krieg oder Verfolgung gefährdet ist.

Allerdings wird weder Deutschland noch Europa auf Dauer das Flüchtlingsproblem auf diese Weise lösen können, wollen sie nicht eine Destabilisierung der eigenen Staaten in Kauf nehmen. Zu viele Menschen sind auf der Flucht, wenn auch nicht alle aus Kriegsgründen. Weltweit sind es nach Angabe der UNHCR über 60 Millionen, alleine aus Syrien und Afghanistan sind derzeit etwa 7 Millionen Menschen auf der Flucht (Binnenflüchtlinge nicht eingerechnet).

Stacheldrahtzäune, wie sie derzeit der ungarische Regierungschef Orban gegen den Ansturm von Flüchtlingen errichtet, sind menschenverachtend und abzulehnen. Eine Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge an den Außengrenzen der EU wird notwendig sein. Dafür wird die EU Ressourcen und Personal zur Verfügung stellen müssen. Eine Verteilungsquote innerhalb der EU ist sicherlich durchsetzbar, vor allem, wenn man Staaten, welche sich nicht daran halten, mit Sanktionen droht bzw. den EU-Geldhahn in diesen Fällen schließt. In dieser Frage scheint es nach Wochen, in denen nichts geschah, endlich Bewegung zu geben. Die Resultate lassen allerdings auf sich warten.

Besonders interessant ist dabei die Rolle der USA. Gerade dieses Land trägt eine erhebliche Mitschuld an der derzeitigen Situation in Staaten wie Afghanistan, Syrien oder etwa dem Irak, um nur einige zu nennen. Die USA nehmen nach Aussagen von John Kirby, dem Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, 2015 zwischen 1000 und 2000 syrische Flüchtlinge auf. Das ist eine beschämende Zahl. 2013 fanden 36 syrische Flüchtlinge Asyl in den USA. Die Strategie erinnert ein wenig an die Finanzkrise, die ebenfalls in den USA ihren Ursprung hatte und im Wesentlichen erfolgreich nach Europa „exportiert“ wurde. Ähnlich verhält es sich nun in der Flüchtlingsfrage. Der Mitverursacher USA überlässt das Problem wiederum Europa. Hier ist eine andere europäische Gesamtstrategie gefragt, um gerade der USA ihre Verantwortung wieder aufzuzwingen.

Alles in allem können und müssen wir uns in Europa vorübergehend aber eine Politik leisten, die, nachdem über Jahre hindurch Unmengen von Geld für die Interessen des Finanz- und Großkapitals verschleudert wurde, nun auch bereit ist, Geld für humane Interessen in die Hand zu nehmen. In einem Europa für die Menschen führt kein Weg daran vorbei. (Gerhard Kohlmaier)

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