Akt.Thema, 20.12.22: "Tango korrupti" - und ein Ansatz zur Gegensteuerung Drucken

„Tango korrupti“ - und ein Ansatz zur Gegensteuerung

Seit einigen Tagen erschüttert ein Korruptionsskandal das Europäische Parlament oder besser gesagt die Bürger der Europäischen Union. In zahlreichen europäischen Ländern, etwa in Ungarn, Serbien, Rumänien, aber auch in Griechenland und Italien, ist Bestechlichkeit im öffentlichen und politischen Sektor des Landes an der Tagesordnung.

Vor einigen Wochen erklärte der ehemalige Sektionschef im Finanzministerium Thomas Wieder im „Report“, das Ausmaß an Korruption ginge auch in Österreich seit Jahren weit über die nun bekanntgewordenen Chats von Thomas Schmied hinaus und ziehe sich durch alle Ministerien und Parteien. Überrascht ist davon eigentlich niemand mehr, denn spätestens seit Straches Ibiza-Auftritt ist das Vertrauen der österreichischen Bürger in die Redlichkeit unserer Repräsentanten endgültig im Keller. Das Land taumelt von einem Korruptionsskandal in den nächsten. Politikverdrossenheit ist das Resultat, in gewisser Weise eine durchaus spürbare Ohnmacht der Bürger und Wähler dem politischen System und seinen Akteuren gegenüber.

Die Schaffung von verschiedenen Institutionen zur Korruptionsbekämpfung, das Etablieren von Ethikräten u.a.m. war bislang nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein der demokratiegefährdenden Korruptionstangos, welche fleißig weitergetanzt werden. Die langjährigen Forderungen nach wirklicher Transparenz von politischen Entscheidungsprozessen blieb im Wesentlichen ungehört. Österreich nimmt nach einer weltweit durchgeführten Transparenz-Rangliste den letzten Platz ein. Die längst überfällige Abschaffung des Amtsgeheimnisses (Informationsfreiheitsgesetz) ist seit eineinhalb Jahren in Begutachtung, aber nicht beschlossen. Eine endgültige Form des Gesetzes lässt, wie Interessen der Parteien, Länder und Gemeinden und jüngste Diskussionen darüber bereis zeigen, kaum deutliche Verbesserungen der Situation erwarten.

In dieser schwierigen Situation werden die Nachteile einer repräsentative Demokratie gegenüber dem direktpolitischen Einflussmöglichkeiten des Volkes auf das politische Geschehen besonders drastisch offengelegt. Die Geister, die der Wähler rief, wird er allzu oft bis zum nächsten Wahltermin nicht mehr los. Und es ist sogar äußerst fraglich, ob er diese Schädlinge eines demokratischen Staates selbst dann wieder los wird, denn das Wählerhirn wird manipuliert, es ist vergesslich und mitunter empfindet es die Machenschaften der Politiker bereits als vollkommen normal, da sie ja sozusagen täglich stattfinden und ein Gewöhnungseffekt eingetreten ist. Eine resignative Einstellung macht sich breit, man könne die Situation nicht ändern, ist eine durchaus gängige Haltung vieler Bürger in unserem Staat. Längst bezieht sich diese Haltung nicht nur auf strafrechtliche und moralisch bedenkliche Machenschaften unserer Politiker, sondern auch auf zahlreiche politische Entscheidungen, bei denen sich die Frage stellt, ob sie im Sinne der Mehrheit der Staatsbürger gefällt werden.

Doch, man kann, oder besser gesagt, man könnte die Situation zumindest verbessern. Denn unsere repräsentative Demokratie hat ein Problem, welches sozusagen seit Jahrzehnten die politischen Repräsentanten vor dem Bürger schützt. Dieses liegt mehr oder weniger in der Verfassung begründet bzw. in der Auslegung derselben. Im Wesentlichen besteht es darin, dass wichtige, per Verfassung eingeräumte Möglichkeiten der direkten Mitbestimmung des Volkes zahn- und wirkungslos bleiben, weil deren Einfluss auf das politische Geschehen nicht vom Volkswillen, sondern von parteitaktischen Überlegungen abhängig ist. Dies trifft insbesondere auf das Instrument des Volksbegehrens zu, dessen Inhalte und Anliegen für den Nationalrat nicht bindend sind. Letzteres gilt im Übrigen auch von der Volksbefragung, welche seit ihrer Einführung 1989 überhaupt erst einmal, nämlich 2013 zur österreichischen Wehrpflicht, durchgeführt wurde.

Das einzige Instrument, welches dem Volkswillen zum Durchbruch verhelfen kann, weil das Ergebnis vom Nationalrat umgesetzt werden muss, ist die Volksabstimmung. Diese ist allerdings nur über einen bereits vorliegenden Gesetzesbeschluss möglich und bedarf der mehrheitlichen Zustimmung der Parlamentarier. In der Geschichte der zweiten Republik kam dieses Instrument daher auch erst zweimal zur Anwendung, 1978 über die Betriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf und 1994 über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union.
Es liegt im Wesen der repräsentativen Demokratie, dass politische Entscheidungen von den gewählten politischen Mandataren zu treffen sind, allerdings besteht überhaupt kein Widerspruch dazu, diesen Repräsentanten die Entscheidungsfindung durch eine Ausweitung der direkten demokratischen Möglichkeiten des Volkes zu erleichtern. Insbesondere dann, wenn sie in ihrer politischen Tätigkeit den Eindruck erwecken, sie agieren am Volkswillen vorbei, aus welchen Gründen auch immer.

In der 2. Republik wurden seit 1964 insgesamt 72 Volksbegehren durchgeführt. 58 Begehren wurden von mehr als 100 000 Bürgern unterzeichnet und erreichten somit die festgesetzte Mindestanzahl an Stimmen, die eine Behandlung im Nationalrat verpflichtend machen. 9 der 72 Volksbegehren wurden von mehr als 10% der Wahlberechtigten (derzeit ca. 6,4 Millionen Bürger) unterschrieben. Das ist ein beachtliches Bürgervotum, wenn man bedenkt, mit welchen Hürden die Betreiber dieser Volksentscheide im Laufe der Einleitungs- und Eintragungsverfahren zu kämpfen hatten. Allerdings blieb ein Großteil der Willenskundgebungen des Volkes abgesehen von einer Kurzzeitbehandlung im Nationalrat unbeachtet und hatte keinerlei oder nur sehr geringfügige Auswirkungen auf die konkrete Regierungsarbeit.

Es ist daher dringend notwendig, dieses Instrument der direkten Demokratie zu stärken.

Volksbegehren, welche zumindest von 10% der Wahlberechtigten unterzeichnet werden, sollten eine verpflichtende Sondersitzung des Nationalrates nach sich ziehen. Diese sollte im ORF übertragen werden, das Ergebnis der Sitzung sowie die Haltungen der einzelnen Parteien dazu sollten als amtliche Mitteilung allen Bürgern zugänglich gemacht werden.

Volksbegehren, welche zumindest die Zustimmung von 20% der Wahlberechtigten erhalten, sollten ebenso in einer Sondersitzung des Nationalrates mit amtlicher Ergebnisveröffentlichung münden, sie sollten jedoch auch zwingend eine Volksabstimmung nach sich ziehen. Eine solche könnte man nach einer Textänderung des Kernanliegens des Begehrens, welche eindeutig mit Ja oder Nein zu beantworten ist, zumindest im Rahmen der nächsten Nationalratswahl den Bürgern zur Abstimmung vorlegen, will man den administrativen Aufwand gering halten. Sodann soll das Abstimmungsergebnis für die folgende Regierung bindend sein.

Eine weitere Möglichkeit, eine Volksabstimmung sogar zeitnah zum Volksbegehren selbst durchzuführen, bietet uns die digitale Welt, zumindest zukünftig. Die Zustimmung für die elektronische Stimmabgabe ist bereits derzeit hoch in der Bevölkerung. Man kann davon ausgehen, dass trotz einiger Bedenken dieser Wahlform, die Zukunft von Wahlen davon geprägt sein wird.
Eine diesbezügliche Änderung unserer Verfassung erfordert zwar eine 2/3-Mehrheit im Parlament, will man jedoch den mündigen Staatsbürger ernst nehmen, will man verhindern, dass unsere gewählten Repräsentanten von einem Wahltermin bis zum nächsten vollkommene Narrenfreiheit haben und nach Lust und Laune am Volkswillen vorbei regieren können, dann ist die Aufwertung von Volksabstimmungen ein Gebot der Stunde.

Dezember 2022

Auch in der "Wiener Zeitung": https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2172542-Tango-Korrupti-und-ein-Ansatz-zur-Gegensteuerung.html