Woko vom 6.1.2019: Demokratie war gestern Drucken

 

Wir leben in einer Zeit, in welcher die Demokratie im Wesentlichen nur noch als Farce dazu dient, den Bürgern vorzugaukeln, politische Entscheidungen hätten etwas mit dem Volks- bzw.Wählerwillen an sich zu tun. In Wahrheit ist dieser Wähler- oder Bürgerwille ein mit allen Raffinessen manipulierter bzw. von den politischen Parteien geschaffener. Der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Heinz Meyer oder der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch sprechen in diesem Zusammenhang von der Postdemokratie, in welcher zwischen Bürgern und politischen Repräsentanten eine in Sachfragen kaum mehr überwindbare Distanz aufgebaut wird. Gleichzeitig nützen die politischen Parteien vor allem die neuen Medien dazu, Scheinprobleme zu wichtigen Problemlagen hochzustilisieren, deren Lösungen sie sich dann unter Applaus der Bürger annehmen und so ihr Vertrauen - vor allem aber ihre Wählerstimme - gewinnen.

Insbesondere die seit einem Jahr tätige österreichische Bundesregierung, eine Allianz von ÖVP bzw. von dem, was von ihr übrig geblieben ist, und den Freiheitlichen beherrscht dieses Strategie hervorragend. Zuerst emotionalisiert man weite Teile der Bevölkerung mit Scheinfragen, dann nimmt man sich diesen Themen an, wobei weniger die Lösungsstrategie selbst im Vordergrund steht, sondern es reicht schon der bloße Anschein, sich darum gekümmert zu haben.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Zusammenlegung der Sozialversicherungen. Die Regierung sonnt sich im Applaus, damit etwas geschafft zu haben, was vielen Bürgern schon lange Zeit ein Anliegen war. In Wahrheit hat sie die politische Einflussnahme auf die Sozialversicherungsträger zu ihren Gunsten verändert, hat Struktur- und Finanzierungsprobleme geschaffen, welche von den applaudierenden Bürgern geschlossen werden müssen, spricht jedoch von Einsparungen in Milliardenhöhe, wofür es kein einziges Indiz gibt.

In einer Welt, die aus verschiedensten Gründen immer unsicherer wird, baut die Kurz-Strache-Regierung keine Ängste der Bevölkerung ab, sondern sie schürt sie, um sie für ihre Interessen einzuspannen. Asylwerber werden so schnell zu gefährlichen Subjekten, welche man am besten hinter Stacheldraht aufbewahrt, Langzeitarbeitslose werden zu „Durchschummlern“ degradiert, die Fleißigen und Tüchtigen können hingegen auf Wunsch der Wirtschaft und in Interesse von Konzernen auch ruhig länger arbeiten. Sexualtäter müssen härter bestraft werden, weil ihre Gefährlichkeit aus irgendwelchen Gründen zugenommen habe, was allerdings kein Experte bestätigt. Bei all dem geht es nicht  um Information der Bevölkerung über Sachfragen, sondern es gehr um Irreführung, Manipulation und Emotionalisierung großer Bevölkerungsteile. Das ist der wahre Grund dafür, warum die derzeitige Regierung die Flüchtlingsfrage andauernd am Köcheln hält und Scheinbeiträge zu deren Lösung liefert. Die Wahrheit ist jedoch eine ganz andere: Wenn wir nicht bald die echten Probleme dieser Welt lösen, dann werden sich alleine aufgrund der Klimaerwärmung in den nächsten Jahrzehnten Millionen von Menschen aus anderen Kontinenten, in denen sie ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden, auf den Weg nach Europa und nach Österreich machen. Und wir werden uns damit beschäftigen müssen, wie wir sinnvoll miteinander leben können, nicht aber damit, wie wir unsere Grenzen dicht machen können, denn das wird niemanden abschrecken.

Diese „Stimmungspolitik“ hat noch einen weiteren Vorteil für die derart agierenden Volksvertreter. Abseits der emotionalisierten und öffentlich gemachten Themen betreiben sie - von vielen Bürgern nahezu unbemerkt - eine Sachpolitik im Interesse von Lobbyisten, Parteifreunden und finanzkräftigen Unterstützern, nicht aber eine Politik im Interesse großer Bevölkerungsteile. Dadurch werden die wirklichen Sachthemen wenig nachhaltig im Interesse von Parteien behandelt, Diskussionen über nachhaltige Lösungsstrategien bleiben aus.

Und sollten wider Erwarten die Bürger doch auf der Lösung von wirklichen Problemen beharren, dann verweist man sie auf ein vollkommen zahnloses Instrument der direkten Demokratie, auf das Volksbegehren, und lässt das Bürgerbegehren sogar so deutlich gegen die Wand fahren, dass man bei der Diskussion darüber das Parlament verlässt und das Anliegen schubladisiert, wie uns dies die österreichische Bundesregierung bei den letzten drei Volksbegehren gezeigt hat.

 

Mit Demokratie, mit Mitspracherecht der Bevölkerung hat das alles so gut wie nichts mehr zu tun. Meyer und Crouch haben Recht: Wir befinden uns längst inmitten eines neuen Zeitalters - im Zeitalter der Postdemokratie. Wie wir darauf reagieren werden, darin besteht die Herausforderung.