Woko vom 29.3.2015: "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen." (I.Kant) Drucken

Wien: Ein GRÜN-Abgeordneter mutiert urplötzlich zum SPÖ-Mandatar und verhindert damit einen Reformantrag zum höchst problematischen Wiener Wahlrecht, welches die SPÖ übervorteilt. Bürgermeister Häupl verweist zudem darauf, dass die SPÖ bei diesem demokratiepolitischen Trauerspiel ihre Hand massiv im Spiele hatte, indem er sagt: „Die GRÜNEN haben geglaubt, wir lassen uns das einfach so gefallen“. Und zusätzlich poltert der Bürgermeister, dass solche Wechsel ja nicht Neues seien. Wie recht er doch hat!

Ob und wie viel der SPÖ der Parteiwechsel gekostet hat, inwiefern Geldzuwendungen den ehemaligen GRÜNEN Akkilic zur plötzlichen Gesinnungsänderung bewegten, wird wohl wieder einmal ein Geheimnis bleiben.

Selbstverständlich ist es legitim, dass ein politischer Mandatar seine Gesinnung ändert, aber dann sollte er sein Amt zurücklegen, denn schließlich wurde er in dieses von den Repräsentanten einer Wählerschaft gewählt, in deren Sinne er tätig sein soll. Und das sind im Falle von Herrn Akkilic nun mal die Wähler der GRÜNEN.

St. Pölten/Klagenfurt: Die niederösterreichische Abgeordnete Kaufmann-Bruckberger gibt zu, dem ehemaligen Kärntner Landeshauptmann 700000 Euro Korruptionsgelder übergeben zu haben und dafür eine Summe von 35000 Euro kassiert zu haben. Ein Misstrauensantrag gegen die Mandatarin wird mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP abgelehnt.

Offensichtlich ist für die SPÖ und die ÖVP Korruption etwas vollkommen Normales, anders ist es nicht zu erklären, dass die Dame weiterhin als „Volksvertreterin“ im niederösterreichischen Landtag agieren darf.

Die angeführten Fälle geben nur ein kurzes Sittenbild der österreichischen Politik im Verlauf der letzten Woche.

Blickt man ein wenig in die Vergangenheit, so tun sich weitere Abgründe für jeden Bürger auf - rund um die ehemalige Regierung Schüssel/Grasser und deren Machenschaften, um die ehemaligen Finanzminister Pröll sowie Finanzministerin Fekter, um den niederösterreichischen Landeshauptmann Pröll, um den sich seit Monaten hartnäckige Gerüchte über dessen Moralverständnis halten. Doch die eben genannten Personen sitzen weiterhin in hohen öffentlichen oder privaten Ämtern, Landeshauptmann Pröll wird sogar als zukünftiger Bundespräsident gehandelt.

Überall gilt die Unschuldsvermutung. In all den Fällen sorgen Netzwerke, die weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus reichen, für die Aufrechterhaltung des Status Quo und nicht zuletzt ein kompliziertes juristisches System, das sich ein Heer von Anwälten im Interesse der Beschuldigten zunutze macht, um Strafverfolgungen nahezu unmöglich zu machen.

Der kleine Ladendieb spürt die ganze Härte des Gesetzes, er kann ihr kaum entkommen, die großen Verbrecher, so der Eindruck des Volkes, bleiben nicht nur ungeschoren, sie werden offensichtlich zum Lohn für ihre Taten in noch höhere Ämter versetzt, in denen sie teils utopische Einkommen beziehen.

Die Bürger reagieren darauf überwiegend mit Achselzucken, so selbstverständlich erscheinen ihnen Korruption und Machtmissbrauch der Politiker inzwischen, so hoffnungslos erscheinen ihnen die demokratiepolitischen Möglichkeiten einer Einflussnahme auf diese Politik.

Dieses Verhalten darf seitens der Machteliten als erwünscht bezeichnet werden und wurde über Jahrzehnte unter tatkräftiger Mithilfe bestimmter Medien eingeübt. Gleichzeitig wurden die Möglichkeiten einer direkten Mitbestimmung der Politik durch die Bevölkerung reduziert, Demokratie als Herrschaft des Volkes hat längst ausgedient, der Begriff bezieht sich nur mehr auf den Parlamentarismus. Und letzterer sorgt seit Jahrzehnten dafür, dass durch die von ihm initiierte Gesetzgebung genau das geschützt wird, was mitunter dringend zu verändern wäre.

Weil das Vertrauen der Bürger in die parlamentarische Demokratie tief erschüttert ist, muss der Bürger selbst aktiv werden. Er muss seinen Unmut lautstark und öffentlich verkünden. Dazu gehört Engagement, auch Mut, aber nur das kann der Weg sein, der „aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) führt.

In der Praxis bedeutet das, dass einige Tausend von Bürgern vor den Landesparlamenten Niederösterreichs und Wiens, die ihren Unmut über die Vorgangsweisen in diesen Landesparlamenten bekunden, vielleicht schon jenen Druck auf die Repräsentanten des Volkes auszuüben vermögen, der demokratiepolitisch bedenklichen Vorgangsweisen Einhalt gebietet. Sapere aude! (Gerhard Kohlmaier)