Wochenkommentar vom 1.6.2014: Warum der Einfluss des Volkes sinkt Drucken

 

"‘Ich frage mich, warum die Gleichberechtigung noch nicht stattgefunden hat und was denn da so lange dauern kann‘. Das sagt die Song Contest Siegerin Conchita Wurst zur rechtlichen Gleichstellung von homosexuellen Menschen in Österreich.“ (Wirtschaftswoche, 31.5.2014)

Hat die Dame oder der Herr Sorgen!

Ich frage mich hingegen, warum die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nicht schon endlich stattgefunden hat, warum Frauen für dieselbe Tätigkeit, die sie erbringen, immer noch deutlich geringer entlohnt werden.

Ich frage mich auch, warum die Menschen in der Dritten Welt und in anderen Staaten dieser Erde immer noch darunter leiden müssen, dass sie von den industrialisierten Nationen ausgebeutet werden.

Ich frage mich, warum die Reichen dieser Welt von Tag zu Tag reicher werden, während die Armen ständig ärmer werden. Ich frage mich, warum unsere gesellschaftliche Wertschöpfung so verteilt wird, dass nur einige wenige Prozent der Bevölkerung davon profitieren und die Mehrheit diesen Profit mit dem zunehmenden Verlust ihrer materiellen Lebensbedingungen bezahlen muss.

Ich frage mich, warum Kriege geführt werden und die Menschen sich nicht dagegen zur Wehr setzen. Ich frage mich, warum so viele Menschen hungern, während die anderen leichtfertig mit ihren Lebensmitteln umgehen.

Ich frage mich, warum man der Korruption in diesem Land nicht Herr werden will, warum unsere Justiz die Gerechtigkeit mit zweierlei Maß misst, warum uns Politiker, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, belügen und für dumm verkaufen können.

Das alles und noch viel mehr frage ich mich.

Was kann denn da so lange dauern, frage ich mich. Es weiß doch jeder über diese Ungerechtigkeiten Bescheid, alle Bürgerinnen und Bürger, alle Politiker.

Und dann taucht plötzlich wie ein Phönix aus der Asche eine Kunstfigur auf, die ebenfalls ein gesellschaftspolitisches Problem outet und mit tatkräftiger Unterstützung der Medien tagtäglich auf die Menschen in diesem Land herunterprasseln lässt: die Gleichstellung von Homosexuellen mit Heterosexuellen.

Endlich ein Thema, zu dem sich jedermann äußern kann und will, vom Bundespräsidenten angefangen bis zu den höchsten Würdenträgern der Katholischen Kirche. Während beispielsweise in der HYPO-Affäre unser Bundeskanzler wochenlang auf Tauchstation ging, empfängt er nun den Botschafter der Gleichberechtigung medienwirksam am Ballhausplatz.

Die Massen sind begeistert, die Medien scheinen kaum mehr ein anderes Thema für wichtig zu befinden, die/der aus der Asche Gestiegene spricht zum gemeinen Volk aber auch über Rechtsruck in der Politik, über Toleranz, über Instrumentalisierung von Menschen (Ob sie/er dabei über Ihre/seine eigene Instrumentalisierung spricht, blieb mir bis dato verborgen), wird gleichsam zum Philosophen, Politiker, zum Gesellschaftsguru schlechthin.

Alle wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen, welche die Menschen in ihrer Existenz und in ihren konkreten materiellen Lebensbedingungen berühren und treffen, besonders jedoch die Antworten darauf, spielen kaum mehr eine Rolle, sie sind Wurst.

Warum ist denn so vieles, was in unserer Gesellschaft gerecht wäre, was längst zu verändern wäre, was die Menschen letztlich auch verändern wollen, einfach nicht geschehen?

Weil die Menschen, die Bürger den Einfluss darauf längst aus der Hand gegeben haben, indem sie es geschehen ließen, dass die Errungenschaften von demokratischen Staatswesen von den wirklich Mächtigen dieser Welt als Bollwerk gegen die Völker selbst verwendet werden können. Wenn der direkte Einfluss des Volkes auf die politischen Prozesse durch einen Lobbyismus des Finanz- und Großkapitals sowie der Konzerne ersetzt wird, wenn zudem die gewählten Politiker zu Handlangern dieser Mächtigen werden, dann stehen die getroffenen politischen Entscheidungen nicht mehr im Interesse der Menschen in einer Gesellschaft, sondern im Interesse der Mächtigen selbst.

Die Gleichberechtigung von homosexuellen und heterosexuellen  Menschen ist zwar ein berechtigtes Anliegen, aber dennoch ein Randthema der gesellschaftspolitischen Gesamtproblematik. Begibt man sich mit aller Kraft in den Dienst dieser Sache, dann läuft man Gefahr selbst zum Instrument der Mächtigen zu werden, denen nichts lieber ist, als dass sich das Volk nicht den wesentlichen Fragen in unserer Gesellschaft zuwendet, diese analysiert und sich, wenn nötig, gegen eine Politik mit allen demokratischen Möglichkeiten zur Wehr setzt, die nicht mehr in seinem Interesse stattfindet.

Diese Instrumentalisierung und der damit verbundene Medienhype ist unter anderem eine Erklärung dafür, dass die Menschen blind für die brennenden Probleme in einer Gesellschaft werden. Verbunden mit einer „Brot und Spiele - Euphorie“ entsteht eine Scheinwelt, der sich viele Menschen hingeben. Die Mächtigen jedoch können inzwischen ungehindert ihre Strategie der Beherrschung von ganzen Völkern und Staatswesen in die Tat umsetzen. Und sie tun das auch. (Gerhard Kohlmaier)