Wochenkommentar vom 18.5.: Trotz Wurst ist es nicht Wurst... Drucken

 

welches Katastrophenszenario, welche Ungeheuerlichkeiten an Unfähigkeit, Vertuschung usw. sich in der österreichischen und europäischen Politik Tag für Tag abspielen.

Aber zugegeben, es lenkt ab davon. Brot und Spiele haben das Volk schon zu den Zeiten der Römer vom Begreifen des Wesentlichen ferngehalten und das Aufbegehren des Volkes verhindert. Nun nützt man den Wurst, um ein ohnehin frustiertes, politisch ohnmächtiges Volk auf neue Ideen zu bringen:  durch die Identifikation mit einem fragwürdigen Idol schafft man ein Ersatzszenario, welches an Bedeutungslosigkeit kaum zu überbieten ist. Und da in einer Gesellschaft, in welcher im alltäglichen Daseinskampf die Toleranz anderen gegenüber unter kräftiger Mithilfe der Politik längst keine Rolle mehr spielt, sondern vielmehr der Egoismus und der Narzissmus, schafft man eine Pseudotoleranzdiskussion auf einer Scheinebene, die zu durchleuchten ich mir hier erspare.

Die tatsächlichen Probleme, die wir, die Menschen in unserer Gesellschaft haben, sind von völlig anderer Art und sie sind so wichtig für unsere Zukunft, dass wir uns das Schweigen nicht mehr leisten können: Finanzprobleme des Staates und damit verbunden die  Gefährdung von sozialer Sicherheit und Demokratie, Abbau der Bildungschancen, Abbau der staatlichen Gesundheitsversorgung, Gefährdung der Pensionen und der Zukunft der Jugend,  das sich Ausliefern an die Interessen des Finanzkapitals und der Konzerne, Korruption in der Politik und die mangelhafte Kontrolle der Akteure, fehlende Transparenz nahezu aller wichtigen Entscheidungen usw.

Das ist nicht Wurst. Hier muss das Volk aktiv werden, hier muss es sich einbringen, weil es seine Zukunft ist, um die es geht. Dem Künstler Wurst gönne ich jeden Erfolg, aber wenn er neben seinen Gesangsdarbietungen glaubt eine Mission erfüllen zu müssen, dann engagiert er sich im Rahmen eines gesellschaftlichen Randthemas. Denn die eingeforderte Toleranz anderen Menschen gegenüber kann und wird nur dort wirksam werden, wo die Menschen diese Toleranz auf Grund eines stabilen demokratischen Systems, in welchem das Volk an den wichtigen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen  Entscheidungen teil hat, auch leben können. Der Ruf der Österreicher nach einer einzelnen starken Führungspersönlichkeit im Staat, wie jüngste Umfragen ausweisen, steht so sehr im Kontrast zum Toleranzgedanken des Song-Contest-Gewinners wie dessen grundsätzliche Idee das Wesen unserer gesellschaftlichen Probleme nicht mehr als zu streifen vermag.

Wurst kann mir das nicht sein. Aber vielleicht besinnt sich der Künstler doch noch und bietet neben seinen Liedern auch noch wesentliche Beiträge zur gesellschaftspolitischen

Problematik. Ob er dann auch noch vom Herrn Bundeskanzler empfangen werden wird, ist zwar fraglich, aber dann könnte er durchaus eine Mission erfüllen. (Gerhard Kohlmaier)