Woko vom 27.5.: Geht Ludwig auf FPÖ-Kurs? Drucken

Der neue Wiener Bürgermeister Michael Ludwig scheint zwei Themenbereiche bis zu den Landtagswahlen 2020 forcieren zu wollen: Sicherheit und Heimat. Er begibt sich mit dieser Schwerpunktsetzung auf ein prinzipiell gefährliches Terrain, denn auf den ersten Blick sind dies nämlich typische FPÖ-Themen und vielerorts hört man schon die ersten Stimmen, dass der neue Bürgermeister einen populistischen Rechtsschwenk vollziehe, um bei der nächsten Wahl FPÖ-Stimmen zurückzugewinnen.

Nun ist das Sicherheitsbedürfnis der Menschen schon nach Maslow ein Grundbedürfnis. Der amerikanische Psychologe meint damit das Bedürfnis der Menschen nach materieller und beruflicher Sicherheit, also Wohnen und Arbeit. Aber auch Geborgenheit und Schutz der Person sowie Angstfreiheit und das Bedürfnis nach Ordnung und Struktur sind darunter zu verstehen. Aber was bedeutet diese Sicherheit in einer globalisierten Welt, in welcher Weise geht man mit den Ängsten und Sorgen der Bürger um, wie schafft man Strukturen, welche den Einzelnen schützen, ihn in seiner Freiheit jedoch nicht einschränken?

Ludwig spricht von einer „Hausordnung für die Stadt“, welche Sanktionsmöglichkeiten enthält. Als Beispiel dafür führt er ältere Menschen an, die sich im Verkehr nicht mehr sicher fühlen würden. Was bedeutet das nun? Eigene Gehstreifen für ältere Menschen, Verbannung des Verkehrs rund um Seniorenheime, Ausgangssperre für die Älteren zu Verkehrsspitzenzeiten? Welche Sanktionsmöglichkeiten soll es für wen geben? Strafen für die Älteren, wenn sie angeführte Anordnungen missachten, Strafen für die Autofahrer, wenn sich alte Menschen unsicher fühlen oder gar Strafen für Politiker, wenn die von ihnen eingeführten Regeln nicht den erwünschten Effekt haben? Es mangelt derzeit noch an der Konkretisierung des Vorhabens.

Oder aber besteht der politisch erwünschte Effekt gar nicht in einem erhöhten Sicherheitsgefühl der älteren Menschen im Straßenverkehr, sondern in einer erhöhten

Bereitschaft der Zustimmung zum Vorschlag selbst, welche sich am Wahltag im Stimmverhalten der älteren Mitbürger ausdrückt?

Ein „Sicherheitsprojekt“ hat Ludwig bereits umgesetzt: das Alkoholverbot am Praterstern.

Und er begründet es damit, dass ihm Frauen, die „sich nicht wohl fühlen“ wichtiger seien als „aggressive Alkoholiker“. Zweifelsohne lässt sich mit dieser Maßnahme die örtlich gegebene Sicherheit am Praterstern beeinflussen, das grundsätzliche Problem von 340000 Alkoholkranken und Obdachlosigkeit in Österreich wird dadurch allerdings nicht gelöst. Vielmehr wird es ausgelagert. Auch dieses Sicherheitskonzept scheint vielfach mangelhaft zu sein.

Noch komplizierter stellt sich die Sache beim Heimat-Begriff dar. Er ist so unterschiedlich besetzbar, sowohl auf Gefühls- als auf Verstandesebene, er wurde und wird vielfältig politisch missbraucht. In der Geschichte hat der Begriff zahlreiche Wandlungen durchlaufen.

In der ursprünglichen Bedeutung war Heimat Wohnsitz und bezeichnete den engsten Lebensraum des Menschen, welcher später als Rechtsbegriff eng mit dem Besitz von Haus und Hof verbunden war. In der Zeit der Industrialisierung und der damit aufkommenden Mobilität der Arbeiter wurde Heimat zunehmend zu einem Wertbegriff und wurde vor allem für das gebildete Bürgertum zum kritischen Bewusstsein gegenüber einer Realität, die von zunehmender Verstädterung geprägt war. Heimat wurde zum Inbegriff der Entwurzelung des Menschen aus seiner vertrauten Umgebung, hervorgerufen durch immer rasantere gesellschaftliche Veränderungen. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt sich als Reaktion auf die territoriale Zersplitterung in Deutschland die enge Verbindung des Begriffs mit dem Nationalgefühl bzw. dem Staatsgebilde, welches bei Bedrohung auf die Unterstützung der Bürger baute. Nach dem 1. Weltkrieg begann die rassistisch und aggressiv besetzte Umdeutung des Begriffs, der im Nationalsozialismus seine unheilvolle Vollendung fand. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten vor allem Vertriebenenverbände und Landsmannschaften den Begriff und verbanden ihn mit ihrem erlittenen Schicksal. Die Folge war ein mit Symbolen besetzte Vorstellung von Heimat, welche sich dem Fortschrittsprozess zu entziehen suchte. Das 21. Jahrhundert bemüht einen äußerst vielfältigen Heimatbegriff, einerseits als Reaktion auf Veränderungen in einer globalisierten Welt, andererseits als Abgrenzung gegen das Fremde. Das freiheitliche Publikationsorgan „Die Aula“ besetzt einen nationalistischen Heimatbegriff, der immer wieder fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments bedient.

Um welchen Heimat-Begriff geht es Ludwig also? Der Neo-Bürgermeister hat Recht, wenn er betont, dass weder Sicherheit noch Heimat rechte Themen sind. Aber es ist ein Faktum, dass gerade rechte Politiker in den letzten Jahren auf diese Begriffe gesetzt haben und mit einem durchaus problematischen Verständnis davon Wahlen gewonnen haben. Will sich der Bürgermeister nun diesem Heimat-Verständnis, welches das Trennende vor das Gemeinsame stellt, das Zukünftige durch das Gestrige zu ersetzen sucht, annähern und solcherart auf Wahlkampfstimmentour gehen, dann wird er der gesellschaftlichen Entwicklung in dieser Stadt keinen guten Dienst erweisen. Geht er aber andere Wege, wie sie beispielsweise vom Philosophen Ernst Bloch vorgezeichnet wurden, dann können seine Ankündigungen einen Sinn im Sinne eines besseren Miteinanders in unserer Stadt bekommen.

Bloch verstand Heimat nämlich als eine realistische Utopie, die es zu errichten gilt, an der zu bauen ist, damit sich der Mensch nicht mehr fremd ist : „Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.” (Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. Bd. 3. Frankfurt/Main 1969, S. 1628)

 

In diesem Sinne könnte dem Heimatbegriff von Ludwig, von der SPÖ insgesamt in Abgrenzung zur FPÖ, ein neuer Atem eingehaucht werden. Dass ihm und der gesamten SPÖ das gelingen möge, das wäre Ludwig und der Bevölkerung dieser Stadt und des Landes zu wünschen.