Woko vom 23.7.: Eine versteinerte Wirtschafts- und Steuerpolitik vermag die Probleme unserer Zeit nicht mehr zu lösen Drucken E-Mail

 

Seit mehreren Jahren üben sich einige politische Repräsentanten und Parteien darin, der Bevölkerung einzureden, dass neue Steuern nicht in Frage kämen, weil sie unsinnig seien, die Staatsbürger über Gebühr finanziell belasteten und den Wirtschaftsstandort Österreich gefährdeten.

Zu hinterfragen und darzulegen ist dabei auch ein äußerst eingeschränkter Wirtschaftsbegriff, welchen diese Politiker nahezu reflexartig verwenden, um die Bürger für eine Interessenspolitik zu gewinnen, welche schon lange nicht mehr im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung ist.

Insbesondere die ÖVP, in Fortsetzung die Kurz-Partei, aber auch die NEOS predigen diese eingeschränkte Steuer- und Wirtschaftspolitik unaufhörlich, und das durchaus erfolgreich. Der Grund dafür ist nicht etwa die sachliche Richtigkeit ihrer Argumentation, sondern die Tatsache, dass Steuerpolitik einerseits eine sehr komplexe Materie ist und andererseits Bürger gerade in Steuerfragen leicht zu manipulieren sind, wenn sie zusätzliche finanzielle Belastungen befürchten. Und diese Belastungen werden von Kurz und Strolz selbst dort herbeigeredet, wo es sich in Wahrheit um Entlastungen der Bürger handelt. Auch die Frage, welche Vorstellung von Wirtschaften unser Leben nachhaltig bereichert, ist eine zentrale und muss gerade unter den heutigen Bedingungen der Globalisierung sowie des Freihandels kritisch hinterfragt und aufbereitet werden.

Es ist höchst an der Zeit, dieser manipulativen Strategie zu begegnen und die Bürger dieses Landes über die wesentlichen Zukunftsfragen, und dazu gehören in erster Linie die Steuer- und Wirtschaftspolitik, denn von ihnen sind nahezu alle anderen politischen Entscheidungen abhängig, umfangreicher als bisher zu informieren. Einen Beitrag dazu möchte ich in den folgenden Wochen leisten.

Ich möchte meinen Überlegungen einen Satz voranstellen, der sozusagen zum Credo eines ehemals hohen ÖVP-Funktionärs und amtierenden Präsidenten der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, geworden ist: „Wenn‘s der Wirtschaft gut geht, geht‘s uns allen gut.“ Er drückt das aus, was Kurz und Strolz politisch umgesetzt haben wollen.

Gerade dieser Satz zeigt jedoch, wie wenig damit gesagt ist. Was versteht man darunter, dass es der Bevölkerung „gut geht“? Wann geht es der Wirtschaft gut und von welcher Wirtschaft reden wir überhaupt? Sprechen wir dabei von Großkonzernen oder von den zahlreichen Klein- und Mittelbetrieben, die Österreichs Wirtschaft auszeichnen? Oder ist damit vielleicht sogar die Finanzwirtschaft gemeint?

Eine besondere, nahezu makabre Bedeutung bekommt dieser Satz, wenn man sich die Bemühungen zahlreicher Wirtschaftsbetriebe ansieht, ihre Gewinnspannen durch Automatisierung und Entlassung von Mitarbeitern zu vergrößern. Maschinen ersetzen dann die Arbeitskräfte, die Lohnsummenbesteuerung sinkt, also das Steueraufkommen wird geringer, die Gewinne werden jedoch vergrößert. Auf der anderen Seite verlieren Menschen ihre Arbeit, das ihnen ausbezahlte Arbeitslosengeld belastet die Staatsausgaben, die Chancen auf Arbeit für junge Menschen werden geschmälert. Wenn‘s der Wirtschaft gut geht,.....!

Auf der anderen Seite ist dieser Leitl-Satz über den Zusammenhang zwischen Wirtschaft und dem Wohl der Menschen durchaus zu akzeptieren, allerdings nur, wenn die Wirtschaft, die Gewinne nicht zum Selbstzweck werden und nur einige Wenige materiell davon profitieren, sondern Wirtschaft tatsächlich verstanden wird als ein planvolles Handeln, welches das Wohl der Gemeinschaft, also des gesamten Volkes, fördert. Christian Felbers Gedanken einer Gemeinwohl-Ökonomie gehen in diese Richtung, auch wenn das dahinter stehende Menschenbild ein nicht ganz unproblematisches ist.

Aber Wirtschaft zum Wohle der Menschen funktioniert sogar in Bereichen, denen die klassische Ökonomie auf Grund des Konkurrenzdrucks und der angeblich zu hohen Lohnkosten jeglichen Spielraum wirtschaftlich erfolgreichen Handelns abspricht. Unternehmen müssten daher in Billiglohnländern produzieren, die Steuerquote von Unternehmen müsse drastisch gesenkt werden, argumentieren neoliberale Ökonomen.

Ein Gegenbeispiel zu diesem Denken liefert der Waldviertler Schuhproduzent Heini Staudinger. Er baute in Schrems, einer von Arbeitslosigkeit gebeutelten Region, eine florierende Schuhfabrik auf und produziert dort auch Möbel. Das 1984 gegründete Unternehmen beschäftigt derzeit an die 200 Mitarbeiter und erzielte 2015 einen Jahresumsatz von 31 Millionen Euro. Staudinger wird gerne als „Rebell“ gesehen, weil seine Finanzierungs- und Produktionsmodelle, sein gesamtes wirtschaftliches Denken vom Mainstream abweichen und sich nicht vorrangig an Gewinnmaximierung orientieren, sondern am Wohle aller, die für ihn und mit ihm arbeiten. Ohne im Rahmen meiner Ausführungen auf Einzelheiten dieser Firmenphilosophie einzugehen, möchte ich feststellen, dass Staudinger sozusagen täglich den Beweis erbringt, dass eine andere Vorstellung von Ökonomie möglich ist. Ja mehr sogar, das Resultat seiner Philosophie, seines wirtschaftlichen Denkens übertrifft herkömmliche Modelle bei Weitem, schafft Arbeit, Zufriedenheit und Gemeinschaft in einer Region, von der sich große Unternehmen und Konzerne längst verabschiedet haben und die Meinung vertreten, man könne unter den gegebenen Bedingungen dort nicht mehr produzieren.

Diese gegebenen Bedingungen sind jedoch nicht in Stein gemeißelt. Politiker haben es in der Hand, sie zu verändern. Aber wenn man lieber eine Wirtschaftspolitik betreibt, die das Wohlergehen von Großkonzernen als einzige Richtschnur des politischen Handelns versteht, wird man noch vielen Klein- und Mittelbetrieben ein Überleben unmöglich machen. Der Mensch und Unternehmer Staudinger stellt eine Bereicherung des gesellschaftspolitischen Lebens dar, als Rebell wäre überflüssig, wenn politisch Verantwortliche endlich ihre Arbeit zum Wohle der Menschen machen würden.

Das Waldviertel als Problemregion für Arbeitssuchende ist mittlerweile überall. Ähnliche Problemlagen haben wir in vielen Regionen Österreichs, in Kärnten, dem Burgenland u.a.m. Produktionsstätten werden dort aufgelassen, die Menschen machen sich auf in die Städte, um dort Arbeit zu finden. Ganze Regionen verlieren ihre Infrastruktur oder sterben gänzlich aus.

Die herrschende Politik unterstützt diesen Trend u.a. durch die bereits angesprochene Politik im Interesse der großen Konzerne. Ein Beispiel dafür sind die in den letzten Jahrzehnten errichteten Einkaufszentren am Rande der Kleinstädte. Dort werden unter für sie günstigsten Bedingungen die großen Konzerne angesiedelt. Mittlerweile gleicht ein Einkaufszentrum dem anderen bis ins Detail und sie locken die Kunden mit Angeboten aus der Massenproduktion.

 

Die Folge davon ist, dass die Zentren dieser Städte quasi tot sind. Der örtliche Bäcker, der Fleischer, der Lebensmittelhändler usw. sind dem Druck dieser Konzerne nicht mehr gewachsen. Innenstädte verlieren ihre gesamte Infrastruktur, sie präsentierten sich als Leichenhäuser von Begräbnissen, welche die politisch Verantwortlichen initiiert haben.

Abgesehen davon, dass die Produktionsweise von Großkonzernen auch aus ökologischen Gründen problematisch ist, ist sie wirtschaftlicher Nonsens. Um ein Beispiel zu nennen: Das Überleben des österreichischen Bäckergewerbes wird derzeit auf eine harte Probe gestellt. Teiglinge aus China, die im Einkauf zwischen 2 und 5 Cent kosten, machen im Verkauf einen Brötchenpreis von 10 bis 15 Cent nicht nur möglich, sondern tragen zur Erhöhung der Gewinnspanne bei. Welcher österreichische Bäcker wird da auf Dauer noch mithalten können? Ja, einige wenige punkten mit Nischenprodukten und ob ihrer hohen Qualitätsansprüche, aber die Masse der Zunft wird wohl zusperren müssen, und das heißt, dass Tausende Arbeitsplätze verloren gehen werden.

Eine ähnliche Problemlage finden wir in der Fleischproduktion vor. Es ist die herrschende Politik, welche die Massentierhaltung und die Massenproduktion fördert. Fleisch wird quer über den Erdball geliefert, die Quantität hat das Qualitätsdenken größtenteils verdrängt, aber mit billigem Fleisch aus der Massentierhaltung lässt sich offenbar mehr Geld verdienen als mit qualitativ hochwertigem. Und letzteres scheint im Sinne neoliberalen Wirtschaftsdenkens das einzige Kriterium einer funktionierenden Ökonomie zu sein. Eigenartige Kennzeichnungsverordnungen, welche die EU-Bürokraten im Interesse der Großkonzerne erlassen, machen es zudem möglich, die Konsumenten zu täuschen. So ist zwar der Aufzuchtsort der Tiere anzugeben, nicht aber deren Geburtsland. Auf diese Weise wird z.B. tschechisches Schweinefleisch im Nu zu österreichischem.

Unser Bild von Wirtschaft muß gründlich überdacht und überarbeitet werden. Von modernen Parteien muss erwartet werden, dass sie eine Wirtschaftspolitik präsentieren, welche im Interesse der Menschen und der Zukunft des Landes steht. Die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht die Menschen haben Sklaven eines Wirtschaftsdenkens zu sein.

Insbesondere Parteien wie die Kurz-Partei und die NEOS stellen ein altes, gefährliches Modell von Ökonomie ihren Überlegungen zu Grunde. Und was noch schlimmer ist: Sie sind offensichtlich nicht bereit, dieses zu überdenken und zu korrigieren.

Nächste Woche: Welche Steuermaßnahmen welche Wirkung haben und warum sie notwendig sind

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